Martha Postler

(1860–1904) – Die erste Blindenmissionarin der HBM

Martha Postler (1860–1904) – Die erste Blindenmissionarin der HBM

„Es werde eine evangelische Jungfrau gesucht, mit frommen, liebevollem Sinn, in der Kinder- und Krankenpflege erfahren, sprachbegabt und an guter Gesundheit, die bereit sei, nach China als erste Blindenmissionarin zu gehen.“

So lautete der dringende Appell des Vereins. Im Auftrag des Vereins sollte eine qualifizierte Person gewonnen werden, welche sich des elenden Schicksals blinder Chinesinnen vor Ort annehmen sollte. Im Jahr 1896 war sich der Vorstand sicher, die „Richtige“ hierfür gefunden zu haben.

Die Johanniterschwester Martha Postler, älteste von sieben Kindern der Pfarrersfamilie Postler, stellte sich für den Missionsdienst zur Verfügung. Am 4. Oktober 1896 erfolgte ihre feierliche Einsegnung in der St. Lamberti-Kirche in Hildesheim; bereits drei Tage später fand die Aussendung ins Reich der Mitte statt. Nach mehrwöchiger, strapaziöser Schiffsreise – ganz anders als heute mit dem Flugzeug – erreichte die Diakonisse am 19. November 1896 ihr vorläufiges Reiseziel: Hongkong. Hier, im Berliner Findelhaus „Bethesda“, führte man sie in die fremde Kultur ein. Neben dem Erlernen der chinesischen Sprache machte sich Schwester Martha mit den landestypischen Sitten und Gebräuchen vertraut.

Im Jahr 1897 war es endlich so weit: die Missionarin eröffnete die erste Heim- und Bildungsstätte für blinde Chinesinnen. Sie bezog mit fünf blinden Mädchen ein kleines Mietshaus in Hongkong, welches den Namen „Tsau Kwong“ („Kommet zum Licht“) erhielt. Dank der tatkräftigen Unterstützung chinesischer Helferinnen und der finanziellen Beihilfe aus der Heimat konnte Schwester Martha ihrem Missions- und Erziehungsauftrag erfolgreich nachkommen. Klimatische Erschwernisse, wie extreme Trockenheit oder Taifune, sowie lebensgefährliche Erkrankungen und Epidemien (1902 wütete die Cholera in China) drohten das mühsam Geschaffene zu vernichten. Politische Unruhen zwangen zwischenzeitlich sogar zum Umzug auf portugiesisches Hoheitsgebiet: die Halbinsel Makao. Erst danach konnte die Heimfamilie nahe Kowloon ihren Standort einrichten. Martha Postlers regelmäßige Berichte, die ein exaktes Verfolgen ihrer Tätigkeiten ermöglichen, schilderten sowohl die alltäglichen Abläufe im Blindenheim, als auch die damals in Deutschland nahezu unbekannten chinesischen Lebensverhältnisse. Mit Briefen, Lichtbildern und Zeichnungen brachte die Diakonisse den Heimgebliebenen das chinesische Reich näher. Damit wurde sie zur Vermittlerin zwischen den Kulturen.

Während ihres achtjährigen Aufenthalts schuf Schwester Martha, als erste Außenmitarbeiterin, die entscheidende Grundlage für die nachfolgenden transkontinentalen Aktivitäten der Hildesheimer Blindenmission. Viel zu früh verstarb Martha Postler auf der geplanten Erholungsreise nach Deutschland am 26. Juli 1904 in Frankfurt.

Rückblickend ist die Leistung Martha Postlers, wie auch die ihrer Nachfolgerinnen, als eminent hoch zu bewerten. Keinesfalls entsprach ihr Handeln den damaligen gesellschaftlichen Erwartungen an die Rolle einer Frau. Ungeachtet aller Konventionen übten die Blindenmissionarinnen nicht nur einen Beruf aus, sondern sie übernahmen auch eine Tätigkeit, welche hohe soziale Kompetenz von ihnen verlangte. Sie wagten den interkulturellen Dialog, weit vor der heute allgegenwärtigen Globalisierung, um blinden Chinesenmädchen eine würdige Zukunft zu ermöglichen.

Marie-Luise Tost